Dies ist der Leitsatz des christlichen Ordens der Alexianer. Übersetzt heißt er: „Die Liebe Christi treibt uns an“ (wörtl. ‚drängt uns’).
Der Orden der Alexianer ist mir besonders nahe, da er sich auf die Fahne geschrieben hat, sich weniger dem Liturgischen oder Kontemplativen, sondern – seit seinen Anfängen im 13. Jh. – zunächst den Pestopfern, später den physisch und insbesondere psychisch Kranken, aber auch Obdachlosen, Drogenabhängigen und anderen Menschen, die durch unser wundervolles soziales Netz gefallen sind, und nicht zuletzt auch der Seelsorge zu widmen, und das mit ganzer Kraft und ganzem Herzen.
Ich finde, dieser Wahlspruch könnte hierfür nicht besser gewählt sein. Und da er mich auf eine merkwürdige Weise tief berührt, möchte ich ihm an dieser Stelle einmal einige Zeilen widmen. Nicht zuletzt aber auch, weil ich ihn für einen Leitspruch halte, der doch irgendwie auf uns alle zutrifft, die wir – auf die eine oder andere Weise – dem spirituellen Pfad folgen, gleich welchen Namen wir ihm geben.
1] Die Liebe Christi treibt uns an
Die buddhistische Lehre kennt die so genannten „erhabenen Verweilzustände“, die da sind: Metta (Liebende-Güte), Karuna (Mitgefühl), Mudita (Mitfreude), Upekkha (Gleichmut). Das Besondere ist, das Metta zwar eigenständig aufgeführt wird, jedoch die anderen drei durchdringt und selbst von ihnen durchdrungen ist. Damit ist Metta der zentrale und umfassende Begriff. In der christlich-abendländischen Tradition ist dem Begriff Metta der Begriff agape (ἀγάπη) oder caritas zuzuordnen, der höchsten, der göttlichen Liebe, bar aller menschlichen Sehnsüchte. Es ist die barmherzige Liebe, die eine „Extroversion“ hin zu den Mitwesen in sich birgt; insoweit laden ἀγάπη, caritas sowie Metta zum Handeln ein, einem Handeln zum Wohle der Mitwesen.
Das besondere Merkmal dieser Liebe ist, dass sie sich zwar zum Wohle unsere Mitwesen äußert, jedoch an sich „objektlos“ ist. Es ist nicht in erster Linie die Liebe zu dem jeweiligen Menschen, den sie erreicht, die uns liebevoll handeln lässt, sondern vielmehr die Liebe an sich – die kein Objekt hat. Wie kann man sich diese objektlose Liebe vorstellen? Folgende Überlegung mag uns da etwas weiterhelfen:
Was immer im Kosmos geschieht, im Kleinsten oder Größten, es geschieht aus einem inneren Gesamtzusammenhang heraus, dessen Gesetzmäßigkeiten (Naturgesetze) sich uns möglicherweise nie bis ins Letzte erschließen werden. Das Verstehen derer ist auch bedeutungslos; viel wichtiger ist es, ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass alles, was geschieht, in sich stimmig ist. Ob es sich nun für uns (individuell oder kollektiv) gut anfühlt oder nicht, ist eine hiervon gänzlich unabhängige Frage – sie hat nichts damit zu tun, ob der Vorgang in sich stimmig ist. Nun wissen wir aus der Musik, dass, wenn ein Instrument „gestimmt“ ist, also in sich stimmig ist, von Harmonie gesprochen wird. Ist es aber nicht ein Empfinden vollständiger Harmonie, das wir „Liebe“ nennen? Liebe, (kosmische) Harmonie und (kosmische) Insichstimmigkeit meinen das Gleiche. Diese Liebe aber, wenn sie von uns empfunden wird, hängt an nichts; sie dockt an nichts an, es ist lediglich ein Sichöffnen für das was ist, im Frieden des Wissens, dass alles seine Richtigkeit hat und nicht anders sein kann.
2] Die Liebe Christi treibt uns an
Was ist Grundlage des Empfindens einer solchen Liebe, einer Liebe die „ohne Berechnung und zugleich ihr Lohn“ (Bernhard v, Clairveuax) ist? Ich frage ganz bewusst nach der Grundlage des Empfindens dieser Liebe, nicht nach der ihres Entstehens! Denn diese Liebe entsteht nicht, sie ist da, seit ewigen Zeiten und dem Anfang aller Anfänge; denn diese Liebe ist die Grundlage des gesamten kosmischen Schöpfungsprozesses.
Und was ist nun die Grundlage des Empfindens von metta /caritas/agape? Jenes Sichöffnen, von dem ich eben sprach; man könnte auch sagen: Liebevolle Annahme all dessen, was im gegenwärtigen Moment geschieht – in uns und um uns herum. Wie gelangt man aber zu dieser liebevollen Annahme? Durch Erkenntnis! Durch das sehen und verstehen der Wahren Natur aller geschaffenen, materiellen, begreifbaren Dinge. Und was wiederum ist diese Wahre Natur? „Leerheit“, „Substanzlosigkeit“, „SEIN jenseits jeder Begrifflichkeit und Deutung, jeder Dualität und Bewertung“, „So-SEIN“. Dies ist die Erkenntnis, die bis in den letzten Winkel die finsteren Räume der Unwissenheit erhellt; es ist die Perspektive der Erleuchteten wie z.B. des Buddha.
Aber was hat das mit Christus zu tun? So merke auf 🙂 : Nicht heißt es im Leitspruch der Alexianer „Die Liebe Jesu“ sondern „Die Liebe Christi“! Nicht ist hier die Rede von dem Menschen Jesus von Nazareth, sondern von Christus – ebenso wie nicht von der Lehre Siddharta Gautamas die Rede ist, sondern von der Lehre Buddhas. „Christos“ ist „der Gesalbte“, also jemand, der „gesegnet ist mit höchster Erkenntnis“; „Buddha“ heißt „der Erwachte“, also jemand, der „gesegnet ist mit höchster Erkenntnis“. Ich vermag keinen Unterschied zu erkennen zwischen einem „Christos“ und einem „Buddha“. Es ist also die Liebe, so wie sie der Erleuchtete / Erwachte durch seine Erkenntnis allen Wesen gegenüber empfindet, eben jene objektlose Liebe, die uns antreibt.
3] Die Liebe Christi treibt uns an
„Das besondere Merkmal dieser Liebe ist, dass sie sich zwar zum Wohle unsere Mitwesen äußert, jedoch an sich „objektlos“ ist. Es ist nicht in erster Linie die Liebe zu dem Menschen, die uns liebevoll handeln lässt, sondern die Liebe an sich – die kein Objekt hat“ – so haben wir gesagt. Wer eine solche Liebe auch nur im Ansatz empfindet, verspürt den inneren Drang sie zu teilen, weil mit ihr eine Freude einhergeht, die mit keiner weltlich-vergänglichen Freude vergleichbar ist. Es ist diese Freude, die es einem „Menschen solcher Liebe“ unmöglich macht, Unrecht zu tun oder andere Wesen physisch oder psychisch zu verletzen oder zu töten.
Hat Dich je zu Tränen gerührt, jemandem etwas Gutes getan zu haben? Einfach nur aus dem Gefühl heraus, etwas Gutes getan zu haben, ohne, dass Du selber nur im Geringsten davon einen Vorteil gehabt hättest? Hat Dich einfach nur die Freude tief berührt, die der Andere empfand, so dass sie zu Deiner Freude wurde? Dann hast Du wirkliche Liebe empfunden, gefühlten Einklang mit der kosmischen Harmonie. Es gibt kein schöneres Geschenk, als dieses Empfinden. Das ist der Lohn, der „nur empfangen werden kann, wenn sie (die Liebe) ohne Berechnung ist“ (Bernhard von Clairveaux). Gegen dieses Gefühl verblasst alles, was es gibt. Es ist unsere Verbindung zum „Kosmischen“, zum „All-Eins“, zum „Göttlichen“ – es ist „wudschud“ (arabisch: Das Einfließen in Gott), es ist „unio mystica“ (die mystische Vereinigung mit Gott), es ist … ein Moment der Erleuchtung.
Diese „caritas Christi“ tragen wir immerzu in unseren Herzen, denn sie ist ein Teil von uns, so wie wir Teil des Ganzen sind. Und somit können wir sie auch nicht in uns ‚hervorbringen’, wir können sie nur ent-decken.
Möge uns dies zum Wohle aller Wesen gelingen!