Hey, kleiner Bruder …

Hey, kleiner Bruder, komm mal her –

Setz Dich mal zu mir, ich möchte mit Dir reden.

 

Mensch, was ist nur aus Dir geworden?

Du bist so voller Kummer und Verzagen,

so voller Angst vor dem Verlassensein und

so voller Selbstvorwürfe und Verzweiflung.

 

Doch weißt Du, kleiner Bruder,

aus dem Leid, das Du empfindest,

erwächst der Schmerz,

den and’re unter Dir erleiden …

 

Du sagst, Du weißt das alles;

Du sagst, Du willst Dich nur beschützen.

Du sagst, wenn man so viel Leid erfahren hat wie Du,

dann muss man Mauern bauen.

Du sagst, die Welt sei voller Gier und Hass und alle woll’n Dir was,

und alle haben Dich enttäuscht und niemand hat Dich wirklich lieb,

und so werde es auch bleiben –

für immer und in Ewigkeit!

Und Du fährst die Krallen aus.

 

Und in blindwütiger Verzweiflung

drischt Du ein auf Freund und Feind –

sogar auf mich, mein kleiner Bruder – sogar auf mich,

und auf alles, was Dich liebt.

 

Und nur aus Gram über Vergangenes,

aus Widerwillen gegen das, was ist,

und aus Angst vor dem, was kommen mag,

zerstörst Du zornig

selbst jede Blume, die Dir am Wegesrand erblüht.

Mensch, kleiner Bruder – was ist aus Dir geworden?

 

Doch ich sag Dir was – und merke es Dir gut:

Du und ich, mein kleiner Bruder, wir sind eins!

Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Ich kenne Dich seit der Geburt.

 

Was immer Du tust, mein kleiner Bruder,

ich weiß, Du meinst es ja nicht böse.

Du grämst Dich und schämst Dich,

und weißt nicht ein noch aus.

Recht kannst Du’s niemand machen,

am Allerwenigsten Dir selbst.

Ja, mein Kleiner, Du wunderst Dich vielleicht,

doch ich weiß genau, wie Du Dich fühlst und was Du denkst.

 

Und darum will ich Dir verzeihen,

für jede Träne, die ich weinte wegen Dir

und jeden Schmerz, den ich um Dich empfand.

Für alles Leid, das durch Dich in diese Welt gelangte,

durch Gedanken oder Worte oder Taten,

und gleichviel ob es mir galt oder einem andern Wesen.

 

Ich kann Dir nur vergeben, auch wenn Du selber sagst,

Du seiest es doch nicht Wert, dass man Dir verzeihe,

und dass es wohl das Beste wäre, es hätt’ Dich nie gegeben.

Ich liebe Dich, und würde ich Dich hassen,

dann hasste ich mich selbst.

 

Bleib einfach bei mir, kleiner Bruder,

ruh Dich bei mir aus –

vielleicht findest Du ja Schlaf an meiner Schulter!

 

Na komm, mein kleiner Bruder Ego,

ich nehm’ Dich mal ganz lieb in’n Arm.

 

Ame ni mo makezu: Selbst dem Regen trotzen

Auf dieses wundervolle Gedicht stieß ich heute, und es hat mich so außergewöhnlich berührt, dass ich es gern mit Euch teilen möchte:

Selbst dem Regen trotzen

und dem Wind

sowohl dem Schnee als auch der Hitze des Sommers

mit einem widerstehenden gesunden Körper

Ohne Begierde

Niemals zürnend

Immer friedlich lächelnd

Täglich vier Schalen unpolierten Reis und

Miso und etwas Gemüse zu essen

Mein Möglichstes tun

Nicht an mich selbst denken

Gut hinschauen und hinhören und verstehen

und nicht vergessen

Im Schatten des Kiefernhains auf der Wiese

in einer kleinen schilfgedeckten Hütte sein

Wenn im Osten ein krankes Kind ist

hingehen und am Krankenbett wachend helfen

Wenn im Westen eine erschöpfte Mutter ist

hingehen und ihr Reisbündel schultern

Wenn im Süden ein sterbender Mensch ist

hingehen und sagen, er braucht keine Angst zu haben

Wenn im Norden ein Kampf oder ein Rechtsstreit ist

sagen, mit dem Nichtswürdigen aufzuhören

In Zeiten der Dürre Tränen vergießen

Im kalten Sommer ratlos umhergehen

Von allen Dummkopf geheißen werden

Nicht gelobt werden

Keinen Kummer verursachen

So ein Mensch

möchte ich werden

 

Miyazawa Kenji

 Mögen alle Wesen glücklich sein

Metta sendet

„Phra“ Michael

„Jetzt-Hier“ ist noch zu relativ!

 „Lass Raum (los), lass Zeit (los)

auch Bildlichkeit;

Geh ohne Weg

Den schmalen Steg.

So kommst Du

an der Leerheit Spur“

 (Lied „Granum Sinapis“, 14. Jh.)

Beginnen wir einmal damit zu betrachten, welche Sichtweisen es zur „Zeit“ gibt. Ich möchte hierfür zunächst gern kurz Begriffe aufnehmen, die Krishnamurti geprägt hat: Die psychologische Zeit und die chronologische Zeit. Lass mich das wie folgt darstellen:

Die psychologische Zeit ist die Zeit in unserer Wahrnehmung. Hier gibt es Realität in der Vergangenheit und auch in der Zukunft, da wir diese Zeiten denken können. Wir wissen zwar, dass das, was vergangen ist, nicht mehr da ist, und dass die Zukunft noch nicht da ist (übrigens keine Erfindung von Herrn Tolle, sondern eines der ersten Dinge, die der Buddha gelehrt hat). Diese psychologische Zeit ist daher für uns so bedeutsam, weil unser Ego – also das Bild, das wir selbst von uns haben, wie wir uns interpretieren – genau davon abhängt. Wir machen eine Erfahrung, lernen aus dieser Erfahrung, und dieses Erlernte machen wir zu einem Teil von uns – wir identifizieren uns damit. In der Wissenschaft spricht man hier von dem ‚autobiographischen Gedächtnis’. „Ich bin meine Vergangenheit und meine Erfahrung“. Die Tatsache, dass das Lernen eng mit unserer (evolutionären) Weiterentwicklung verknüpft ist, zeitigt, dass hier das Problem auch nicht liegt, denn das tut auch jeder Hund und jede Katze. Das Problem ist, dass wir vergangene Ereignisse „emotionalisieren“, das heißt, mit den Erinnerungen holen wir gleichzeitig auch die mit ihr verknüpften Emotionen wieder hervor. Das gleiche passiert im Rahmen „antezipatorischer (= vorwegnehmender) Transferleistungen“: Wir übertragen etwas Gelerntes auf eine zu erwartende Situation – ohne freilich zu wissen, ob sie je eintritt, denn vielleicht fällt uns 10 Sekunden später ein Ziegelstein auf den Kopf. Und auch hier holen wir ein nicht gegenwärtiges Ereignis in die Gegenwart hinein, in der wir dann Angst oder Furcht entwickeln. Noch einmal und etwas anders: Das planerische Denken oder auch die Erinnerung selbst an ein Ereignis ist aus evolutionärer Sicht sinnvoll; die Emotionalisierung dessen begründet Leid.

Die chronologische Zeit hingegen ist das, was tatsächlich vorliegt. Wir interpretieren sie als das, was von der Uhr ablesbar ist, aber im Grunde genommen ist die chronologische, tatsächlich existierende Zeit etwas anderes:

Vergessen wir einfach einmal den Begriff Zeit, und ersetzen wir ihn durch ‚Metamorphose allen Seins’. Dann können wir beginnen, uns mit dem Vorgang „Zeit“ zu „identifizieren“. Wir sind die Zeit, sie ist nichts Getrenntes von uns. Nichts gibt es, das sich nicht unablässig verändert. Auch ich bin nicht mehr der, der vor zwei Sekunden eingeatmet hat. Alles ist Metamorphose. Das eine Ding schwindet, und aus ihm heraus entsteht etwas Neues. Das Schwinden des Einen ist gleichermaßen die Bedingung für das aus ihm entstehende Neue.

Wenn ich also von einer Metamorphose allen Seins spreche, dann ergibt sich, dass Zeit nichts anderes ist, als ein absoluter Vorgang, die Gesamtheit aller Vorgänge, die jemals geschehen sind, die jetzt-hier geschehen und die jemals geschehen werden. Somit ist Zeit zeitlos, aber, und das ist noch wichtiger für das Verständnis, eben diese Vorgänge sind ebenfalls zeitlos. Die Metamorphose allen Seins hat also keinen Anfang und auch kein Ende, und sie hat auch nichts zum Gegenstand, denn jeder Gegenstand ist selbst Vorgang; diese Metamorphose ist somit die Zeit selber! Das Phantastische daran ist, dass wir ja selbst mittendrin stecken. Alles ist Eins, somit sind wir, jeder Einzelne von uns die gesamte Metamorphose allen Seins; somit sind wir, jeder Einzelne von uns, ohne Anfang und ohne Ende. Ich bin Zeit … Du bist Zeit. Wir alle sind ohne Anfang und ohne Ende! Dies wird eigentlich nur „Gott“ zugesprochen. Aber betrachten wir einmal in diesem Lichte den Satz des Sufi-Meisters Al-Halladsch: „Gott ist ich, und ich bin Gott“.

Der Status quo dieser Vorgänge ist immer „Jetzt“. Und so postulieren moderne Spirituelle wie Tolle „Sei JETZT!“ Und dem Grundsatz nach ist das ja auch gar nicht falsch, denn wer im JETZT-HIER ist, hebelt die Emotionalisierung der zeitlichen Vorgänge aus. (Das ist natürlich wieder keine Erfindung von Tolle, sondern eine Erkenntnis, die Buddha Gautama vor 2500 Jahren hatte). Nun begeben wir uns aber mit diesem „Sei JETZT“ auf sehr dünnes Eis, denn die Gefahr ist 1], dass wir uns nur noch auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren und fokussieren, womit wir aber die Peripherie „ausschalten“. Wir befinden uns zwar im Jetzt-Hier, aber mit Tunnelblick, und das führt zu geistiger Abstumpfung (Leider wird meist Meditation so gelehrt …); und 2], dass (wie bereits in der Schmerzkörpertheorie von Tolle) auch hier wieder nur ein Konzept durch ein anderes ersetzt wird. Denn: Das Jetzt-Hier ist – wenngleich nur sehr subtil – immer noch vorstellbar. Das ist etwas, was Meister Eckhart erkannt hat, wenn er sagt (Predigt 36):

„Der Himmel (zu verstehen auch als ‚das Tao’) berührt weder Zeit noch Raum. Alle körperlichen Dinge haben darin keine Stätte. (…) Sein Lauf ist zeitlos, von seinem Laufe aber kommt die Zeit. Nichts hindert die Seele so sehr an der Erkenntnis Gottes wie Zeit und Raum.“

Und an anderer Stelle (Predigt 39):

«Jetzt», das ist Zeit, und «Hier» – das ist Stätte, ist die Stätte, an der ich jetzt stehe.“

Und in Predigt 40:

„Dieses Wort sprach der Herr zu seinen Jüngern: «Wenn etwas noch so Kleines an der Seele haftet, so sehet Ihr mich nicht!» (Joh. 16, 16). (…) Solange noch irgendetwas an Kreatur (= gedanklicher Vorstellung) in Dich leuchtet, solange siehst Du Gott nicht, wie klein es auch sein mag.“

Schließlich Predigt 37:

„Seht, über dieses «Kleine» muss man hinaus schreiten und muss alle Beifügungen abziehen und Gott als EINS erkennen.“

Meister Eckhart ist damit (zutreffend) auch das „Hier und jetzt“ noch zu relativ, erfasst nicht das Absolute. Und damit komme ich zum letzten wichtigen Punkt: Buddha lehrte vier meditative Vertiefungs-Stufen, die jhânas. Wenn man auch die vierte Stufe noch überschreitet, gelangt man in die Erkenntnis der Raumunendlichkeit (MN 25):

 16. „Wiederum, mit dem völligen Überwinden der Formwahrnehmung, mit dem Verschwinden der Wahrnehmung der Sinneseinwirkung, mit Nichtbeachtung der Vielheitswahrnehmung, indem sich der Praktizierende vergegenwärtigt ,Raum ist unendlich‘, tritt er in das Gebiet der Raumunendlichkeit ein und verweilt darin.“

17. „Wiederum, mit dem völligen Überwinden des Gebiets der Raumunendlichkeit, indem sich der Bhikkhu vergegenwärtigt, Bewußtsein ist unendlich‘, tritt er in das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit ein und verweilt darin (…)

18. „Wiederum, mit dem völligen Überwinden des Gebiets der Bewußtseinsunendlichkeit, indem sich der Bhikkhu vergegenwärtigt ,da ist nichts‘, tritt er in das Gebiet der Nichtsheit ein und verweilt darin. (…)“

19. „Wiederum, mit dem völligen Überwinden des Gebiets der Nichtsheit tritt der Bhikkhu in das Gebiet von Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung ein und verweilt darin (…)“

 Erst hier, mit dem Eintritt in diese höchsten Vertiefungs- und Erkenntnisstufen, beginnen wir zu einzusehen, was „Zeit“ ist – nämlich nichts. Ebenso, wie alles dem Wesen nach nichts ist, und dieses Nichts doch alles ist – „Form ist Leere, Leere ist Form“.

Metta sendet

„Phra“ Michael

Über die Demut

Demut hat nichts mit Unterwerfung zu tun. Vielleicht kennst Du das: Du siehst etwas, das ist so wundervoll, dass es Dir buchstäblich Atem und Sprache verschlägt – Du bist unfähig Dich zu bewegen, zu denken, sogar zu atmen – vollständig überwältigt. Das ist Demut. Demut gegenüber dem Tao, dem Kosmos, der Liebe. Demut hat also nichts, aber auch gar nichts mit Unterwerfung zu tun, sondern mit Einsicht. Mit der Einsicht, dass es etwas gibt, was größer und wundervoller ist als alles, was der Verstand je zu begreifen vermag. Wie wundervoll!

 Und Demut hat etwas mit Würdigung zu tun. Würdigung wiederum hat etwas mit Würde zu tun – mit der Würde des Anderen, und auch der eigenen Würde, die genau dann zu Tage tritt, wenn wir uns selbst erlauben, ohne Verlust unseres gedanklichen Selbstbildes die Herrlichkeit zu schauen. Ich rede hier von jener Herrlichkeit, die alles und jeden umfasst, die kein gut und böse kennt, und so auch keine Bewertung unserer Mitmenschen oder unserer selbst. Diese Wertungslosigkeit allerdings ist es, die in uns reines Mitgefühl, reines Mitempfinden – nicht Mitleid (!) – erwachsen lässt, mit allen Wesen.

 Es ist eine Demut, die uns in Erhabenheit weilen lässt, die uns Kraft schenkt – von Moment zu Moment. Die uns in grenzenloser Leidenschaft für und Hingabe an das Vollkommene durch das Leben gehen lässt, durchflutet von Vertrauen – „gesenkten Blickes und erhobenen Hauptes“. Demut, die uns eintauchen lässt in das, was IST.

 Mögen wir alle diese erhabene Demut entwickeln – dafür muss man sich nicht einmal  anstrengen, dafür muss man nur … schauen.

 METTA sendet Euch

„Phra“ Michael

Leben entdecken

Wollen wir uns an die Hand nehmen?

Wollen wir sagen: „Jetzt erst Recht?“

Wollen wir gemeinsam rufen: „Ich liebe! Ich lebe!“ ?

Wollen wir uns befreien? Jeder für sich und doch gemeinsam – Hand in Hand?

Wollen wir uns entschließen zu sein? Uns selbst und uns wechselseitg sein lassen?

Wollen wir gemeinsam den WEG gehen? Nicht zurückschauen … sondern gehen … immer weiter?

Wollen wir uns vergeben? Uns selbst und wechselseitig?

Wollen wir schenken ohne zu erwarten? Annehmen ohne verpflichtet zu sein?

Wollen all das, ohne auch nur einen Gedanken an uns selbst – wollen wir all das wollen ohne zu wollen?

Wollen wir JETZT aufbrechen? JETZT und HIER?

Dann los … lass uns gemeinsam